Interview mit Sr. Ruth-Maria Bortis,
Brig, Schweiz – 1. Teil
Fast 20 Jahre arbeitete Sr. Ruth-Maria Bortis als Pflegefachfrau in der Spitex (spitalexterne Hilfe und Pflege). Bis zu ihrer Pensionierung war sie dem Sozial-medizinischen Zentrum Oberwallis angeschlossen. Seit 2 Jahren ist sie freiberufliche Pflegefachfrau.
Sr. Ruth-Maria, bis zu Deiner Pensionierung im Jahr 2022 hast Du während 18 ½ Jahren bei der „Spitex“ gearbeitet. Kannst Du kurz erklären, was diese Aufgabe beinhaltete?
Meine Aufgabe beinhaltete die Grundpflege, Behandlungspflege, Abklärung und Beratung von hilfsbedürftigen Menschen jeden Alters zuhause. Dadurch konnten Betroffene trotz persönlicher Einschränkung in ihrer gewohnten Umgebung verbleiben oder früher von einem Spitalaufenthalt wieder nach Hause zurückkehren. Die Zeit im Büro zum Erstellen der Bedarfsabklärungen, die Planung, Kontrolle der Arbeit und Austausch mit der Leitung und dem Team erforderte auch seine Zeit.
Was machte Dir vor allem Freude an dieser Aufgabe?
Die Begegnungen mit vielen Menschen machte mir vor allem Freude. Ich schätzte es, die Menschen auf einem Stück ihres Lebensweges zu begleiten und ihnen zu helfen, wieder an sich selber zu glauben und zu glauben, dass es gut wird. Es berührte mich immer wieder, dass ich ein Hoffnungslicht schenken konnte. Erfüllend war zudem, mit der Pflege auch die Sorgen der Menschen aufzunehmen, diese zu Gott und der Gottesmutter bringen zu können. Ganzheitlich pflegen zu können – für Geist, Körper und Seele zu sorgen, das machte mir besonders Freude.
Erinnerst Du Dich an ein besonders eindrückliches, ein besonders beglückendes Erlebnis?
Vor Weihnachten war einmal der Besuch bei einer jungen Frau auf dem Plan, die kurz davor einen Hirnschlag erlitten hatte. Sie war halbseitig gelähmt, konnte kaum reden, fast nur mit ihren strahlenden Augen reagieren. Sie beeindruckte mich sehr durch ihr JA zu ihrem schweren Schicksalsschlag, den sie im Glauben annahm.
Und noch ein zweites beglückendes Erlebnis: Während des Abenddienstes kam an einem Freitagabend der Anruf einer Tochter, die sich im Moment nicht mehr zu helfen wusste bei der Pflege ihres palliativ erkrankten Vaters. Normalerweise durften wir keine neuen Patienten annehmen, da die Planung für das Wochenende bereits abgeschlossen war. Ich überlegte und versprach, trotzdem bei ihr vorbeizugehen. Es zeigte sich, dass mit einigen Ratschlägen und dem Hinweis am anderen Tag nochmals vorbeizukommen, das Problem gemindert werden konnte. Vor allem schenkte es dem Patienten die Ruhe und Hoffnung zurück, die er und seine Familie in dem Moment brauchten. Dank dafür waren für mich seine leuchtenden Augen.
Was war für Dich eine große Herausforderung in der Arbeit als Pflegefachfrau?
Die Digitalisierung vor gut 20 Jahren, angefangen mit einem Natel. Später kam hinzu der Barmain für die Zeiterfassung der Arbeit bei den Patienten, danach der Digipen, wie eine Art Kugelschreiber, der jeden Tag abgeladen wurde und die Daten auf Papier ausgedruckt werden konnten. Der größte Meilenstein war der Start mit dem Tablet.
Durch die Digitalisierung wurde die Planung der Arbeit in Minuten genau festgelegt und es blieb viel weniger Zeit für die Pflege, denn in der vorgeschriebenen Zeit waren Pflege und Büro drin, das heißt im Tablet wurde alles sofort festgehalten. So kam der Mensch immer mehr zu kurz.
Was hat sich in diesen vielen Jahren deutlich verändert in der Spitex?
Neben der Digitalisierung erlebte ich den Zusammenschluss von einem kleinen überschaubaren Team mit einem Nachbarteam. Mit den Jahren wurde nochmals vergrößert und weitere Gebiete kamen dazu. Ein sehr großes Team entstand und gleichzeitig wurde das Gespräch als Team reduziert aufgrund der Kosten. Dadurch ist die Bezugspflege immer mehr verloren gegangen.
An vier Tagen zu arbeiten, hieß, jeden Tag eine andere Gruppe zu haben, in vier verschiedenen Gegenden eingesetzt zu sein. So wurde es schwieriger, eine Beziehung mit den Kranken aufzubauen. Die vorgeschriebene Arbeit musste einfach korrekt erledigt werden. Es kostete allein schon viel, die Wohnungen der Patienten zu suchen und sich in ihren Verhältnissen zurecht zu finden.
Du lebst heute, und auch schon damals, im Haus Schönstatt zusammen mit mehreren Schönstätter Marienschwestern? Was hat Dir das bedeutet – erleichtert, erschwert?!
Dass ich mit Mitschwestern zusammen sein konnte, war für mich das größte Geschenk und bedeutete mir viel, als ich vor 20 Jahren mit der Arbeit hier bei der Spitex begann. Ich hatte damit ein Daheim, eine Familie durch meine Mitschwestern und unser Heiligtum, das in dieser Zeit erbaut worden war. Ich konnte immer wieder heimkehren, in die Atmosphäre der Filiale und des Heiligtums eintreten und alles, was ich bei der Arbeit aufgenommen hatte von den Menschen, in den Krug legen, zur Ruhe kommen und auftanken. Meine Mitschwestern unterstützten mich, indem sie Anteil nahmen an meinem Alltag und besonders mit ihrem Gebet. So war ich nie allein unterwegs.
Gleichzeitig war es nicht immer leicht, die Balance zu finden zwischen dem Beruf mit seinen Arbeitszeiten und dem Gemeinschaftsleben, nicht leicht, die Gebetszeiten einzuhalten. Ich musste lernen abzuwägen, was sinnvoll ist und dass das eine das andere bedingt. Schwierig war es, dass ich nicht immer am Gemeinschaftsleben teilnehmen konnte, weil das Arbeitsleben oftmals den Tagesrhythmus angab durch den unterschiedlichen Dienst und die zusätzlichen Dienste. Dann das Erleben intern zu sein, zu einer Schwestern-Filiale zu gehören und andererseits draußen, mit der Welt, einer anderen Welt, mit ihren Anforderungen, konfrontiert zu sein. Erleichtert hat mir dies alles das täglich neue Beginnen im Heiligtum. Von dort fühlte ich mich ausgesandt, zu wirken im Sinne der Schwesternfamilie, meine Sendung für die Menschen zu erfüllen.
Hast Du eine Art Arbeits-Motto?!
Ja, der Satz von Pater Josef Kentenich, der auf meiner Visitenkarte steht: