29.10.2022

Viel zu wenig brav, um Schwester zu werden.

Sr. Ursula-Maria Bitterli
Schweiz

Interview
mit Sr. M. Selina Hardegger, Schweiz

 

Sr. M. Selina, seit 17 Jahren gehörst du zu unserer Gemeinschaft, bist Schönstätter Marienschwester. Wie kam es dazu, dass du dich entschlossen hast, bei uns einzutreten?

Es war ein langer Berufungsweg! Für mich waren immer beide Wege offen: eine Familie haben oder mich religiös ganz engagieren. Schwester zu werden konnte ich mir aber nicht vorstellen! Ich dachte, dass ich dazu viel zu wenig brav bin.

In meiner Jugendzeit habe ich mich sehr intensiv in der Pfarrei eingesetzt: Leitung der Ministrantengruppe, Jugendgottesdienste vorbereiten und durchführen, eine Gebetsgruppe initiieren, in Familiengottesdiensten Musik machen, eine Firmgruppe begleiten usw. … Mein Anliegen war es, den Glauben im Alltag zu leben. Als ich merkte, dass ich mehr Zeit für die Kirche als für den Kindergarten einsetze, wollte ich etwas ändern, denn ich bin sehr pflichtbewusst. So habe ich mich auf die Suche nach meiner Berufung gemacht. Und Gott hat mich – durch unseren Ortspfarrer – nach Quarten und dadurch zu Schönstatt geführt, obwohl ich das vorher gar nicht kannte!

Was spricht dich bei der Gemeinschaft der Schönstätter Marienschwestern, bei der Schönstatt-Bewegung, besonders an?

Mich hat die Werktagsheiligkeit sehr angesprochen, weil ich ja auch schon vorher versuchte, den Glauben im Alltag zu leben. Es war und ist für mich ein Ansporn und eine Freude, dass jeder zur Heiligkeit berufen ist. Als Kindergärtnerin war ich natürlich auch von der Pädagogik Pater Kentenichs beeindruckt. Er ist mir ein großes Vorbild geworden im Umgang mit den Menschen – seien sie jung oder älter. Mir gefiel es, dass Schönstatt den „normalen“ Weg geht. Es ist so bodenständig. Der praktische Vorsehungsglaube mit seiner Spurensuche im Alltag – Wo ist mir Gott begegnet? Was will er mir dadurch sagen? – passt zu mir.

Nach deiner Aufgabe an der Réception im Zentrum Neu-Schönstatt in Quarten, bist du acht Jahre für Mädchen und junge Frauen in der Schönstattbewegung (MJF) zuständig gewesen. Was gefiel dir bei deinen Einsätzen besonders?

An der Réception gefiel mir, in Kontakt mit verschiedensten Menschen zu sein. Oft war man die erste Ansprechperson für alle möglichen Anliegen. Ich staunte über die verschiedenen Kulturen.

Bei den Mädchen und jungen Frauen machten mir die Gruppenstunden besonders viel Freude: im Austausch miteinander ein Thema näher anschauen, Impulse für den Alltag bekommen und im Kontakt miteinander sein. Ich begleitete die jungen Frauen auch gerne auf ihrer Suche nach ihrer Berufung. Mit einer, die in eine Gemeinschaft in Österreich eingetreten ist, habe ich immer noch Kontakt. Die Sommerlager und Wochenenden waren immer intensiv, aber auch sehr erlebnisreich. Ich habe viele schöne Erinnerungen, an die ich immer wieder denke und ich freue mich, wenn ich wieder jemanden von der MJF treffe.

2019 bist du, nach 15 Jahren, wieder in deinen erlernten Beruf als Kindergärtnerin, eingestiegen. War das eine große Umstellung für dich? Was hat sich im Kindergarten geändert, seit der Zeit vor deinem Eintritt in die Gemeinschaft?

Das erste Jahr war in vielerlei Hinsicht sehr herausfordernd. Ich hatte den Eindruck, dass ich völlig weg vom Fenster bin, weil der neue Lehrplan 21 eingeführt wurde. Mit der Zeit haben mich meine Kolleginnen beruhigt, dass die Grundaufgabe immer noch die Gleiche sei, nur einfach Vieles neu benannt wurde. Aber es gibt auch wirklich andere Akzente.

Ich bemühe mich, die Individualisierung umzusetzen, ohne dass es in einem Chaos endet und ich im „Gewusel“ untergehe. Das ist nicht einfach. Oft habe ich den Eindruck, dass ich, im Unterschied zu früher, als man die Einzelnen stärken musste, in der heutigen Zeit vermehrt auf die Gemeinschaft hinweisen muss – wir sind Teil einer Gruppe und nicht lauter Egoisten. – Im Kindergarten haben wir schon früher versucht, die Kinder auf die Schule vorzubereiten. Ich habe aber den Eindruck, dass die Anforderungen heute höher sind.

Was findest du besonders wichtig in der Aufgabe als Kindergärtnerin?

Die Kinder fürs Leben vorzubereiten. Sie lernen viele Sachen, die man nicht in der Schule durch bestimmte Fächer lernt, sondern einfach im täglichen Umgang miteinander. Jedes Kind ist einmalig. Ich möchte sie in ihrer Art stärken und ermutigen. Deshalb ist mir auch der Kontakt und ein guter Austausch mit den Eltern wichtig.

Heute ist der Perfektionismus schon bei den Kleinen spürbar. Deshalb ist mir die Kindergarten-Regel wichtig: „Wir müssen nicht schon alles können. Wir können noch etwas lernen.“ Die Kinder sollen merken, dass es nicht schlimm ist, wenn Fehler passieren oder etwas kaputt geht. Aber sie wissen, dass ich möchte, dass sie es mir sagen und nichts vertuschen. Ehrlichkeit ist mir wichtig. In schwierigen Situationen ist es gut, dass wir nicht allein sind, sondern uns im Team oder mit Fachpersonen austauschen können. Schön ist auch, wie motiviert und wissbegierig die Kinder sind. So gehe ich jeden Tag mit Freude zur Arbeit!

Zu Beginn deiner Aufgabe als Kindergärtnerin wohntest du bei deinen Mitschwestern auf einer „Filiale“. Inzwischen hast du eine Wohnung in der Nähe des Kindergartens. Du lebst jetzt extern. Wie war diese wohl recht große Umstellung für dich?

Ich bin gerne in der Gemeinschaft und hatte Sorge, dass ich mich einsam fühlen werde, wenn ich so allein und extern bin, aber dazu kam es bisher gar nicht. Im Schulbetrieb ist immer etwas los und als Marienschwester brauche ich auch Zeit fürs persönliche Gebet und für die hl. Messe. Dazu kommt die Arbeit im Haushalt. Diese ist jedoch mit der kleinen Wohnung recht schnell erledigt. Kochen ist nicht so mein Hobby, aber bisher konnte ich alles essen.

Gibt es etwas, was du als externen Marienschwester vermisst?

Ich vermisse unter anderem, wenn Dinge nicht funktionieren, einen Hausmeister. Da war ich schon ein paar Mal ziemlich hilflos; vorher konnte man auf der Filiale einfach rasch jemanden zu Hilfe rufen!

Natürlich habe ich auch weniger Kontakt mit meinen Mitschwestern. So freue ich mich immer bei gelegentlichen „Treffen“ per Telefon, Mail oder bei Besuchen in Weesen oder in Quarten.

Kannst du jetzt schon Vorteile feststellen, allein in der Welt zu leben? Was erachtest du dabei als besonders wichtig?

Früher hörte ich immer, dass man als externe Marienschwester mitten in der Welt ist. Ich dachte damals: Das bin ich doch schon! Aber es ist wirklich anders. Wenn man in einem Dorf wohnt, ergeben sich andere Begegnungen. Unsere Pfarrei ist recht aktiv und so gab es schon manch schöne Gespräche nach dem Gottesdienst, beim Apéro usw. Ein großer Vorteil ist auch, dass ich jetzt die Zeit für den Kindergarten besser einteilen kann. Da ich jeweils mit dem Velo zur Arbeit fahre, habe ich auch täglich frische Luft, die ich für meine Erholung/Entspannung brauche. –

Im Externat möchte ich vor allem Zeit haben für die Menschen und ihre Anliegen. Wichtig ist mir, dass sich das spontan ergibt, denn ich möchte nicht aufdringlich wirken. Der liebe Gott wird mir weiterhin zeigen, wo er mich haben möchte und was jetzt grade dran ist!

Fotos: Sr. Ursula-Maria Bitterli