Seit Februar 2015 beherbergen wir Flüchtlinge in unserem ehemaligen Internatsgebäude. Inzwischen sind schon 12 Familien, weil sie anerkannt wurden, nach Rottenburg, Ergenzingen, Hannover-Münden, Hechingen und Thanheim in ihre eigenen Wohnungen umgezogen. Zurzeit wohnen noch 35 Flüchtlinge in unserem Wohnheim: aus Nigeria 3 Erwachsene und 4 Kinder, 7 syrische Erwachsene und 4 Kinder, aus dem Irak wohnen 6 Erwachsene bei uns und aus Afghanistan leben 8 Erwachsene und 3 Kinder hier in unserem Haus. Das jüngste Kind ist 2 Jahre alt und der älteste Bewohner ist 73 Jahre alt.
Zahlreiche religiöse Gruppen
Wir haben schiitische und sunnitische Muslime, die sich gut miteinander vertragen, im Gegensatz zu ihren Heimatländern, in denen es immer wieder zu Konflikten zwischen diesen muslimischen Gruppen kommt. Ansonsten gibt es noch einige Katholiken und chaldäische Christen, die zur katholischen Kirche gehören. Eine Nigerianerin gehört zu einer christlichen Religionsgruppe, die es in Deutschland nicht gibt. Alle respektieren den anderen, auch wenn er einer anderen religiösen Gruppe angehört.
Ein buntes Völkchen
Wir sind also ein buntes Völkchen, das versucht, friedlich miteinander zusammenzuleben. Alle unsere Flüchtlinge haben traumatische Erlebnisse von der Flucht und vom Terror in ihrer Heimat mitgebracht und leiden immer noch darunter. Einige haben noch nie eine Schule besucht und müssen nun mühsam Lesen und Schreiben lernen. Als M. zum Beispiel in der 2. Klasse war, wurde ihre Lehrerin enthauptet, weil es in Afghanistan verboten war, Mädchen und Frauen zu unterrichten. Beruflich haben die meisten Männer als Schuster oder Schneider in ihrer Heimat gearbeitet, dies jedoch ohne eigentliche Ausbildung für diesen Beruf. Deshalb ist es schwierig für sie, einen Arbeitsplatz zu finden. Ein Mann macht gerade eine Ausbildung im Sanitärbereich und ist der beste Lehrling in seinem Ausbildungsjahrgang. Er zeigte mir stolz seine Belobigung.
Ehrlichkeit
Ich bin stolz auf unsere Flüchtlinge, weil sie ehrlich sind. Erst letzte Woche fand eine syrische Familie einen Geldbeutel in Rottenburg am Bahnhof und brachte ihn mir. Wir konnten den Besitzer ausfindig machen. Als die Mutter und ihr Sohn den verlorenen Geldbeutel abholten und sich bei der Familie bedankten, hieß es: „Das ist doch selbstverständlich, wir freuen uns auch, wenn uns jemand einen verlorenen Geldbeutel zurückgibt.“
Ähnlich handelte eine afghanische Familie. Ein Ehepaar entdeckte 200 € in einer Jackentasche. Die Jacke hatte die Frau als Kleiderspende geschenkt bekommen. Es war selbstverständlich, dass sie mir das Geld brachte, und wir konnten auch hier den Besitzer ermitteln. So lernt mancher Deutsche das Staunen über die Ehrlichkeit von Flüchtlingen.
Großes Geburtstagsfest
Gestern feierten die Afghanen die Geburt eines Mädchens. Sie hatten mit viel Liebe den großen Saal geschmückt mit gebastelten Sternen, Girlanden und Luftballons. Es ist in Afghanistan üblich, dass man ein großes Fest veranstaltet, wenn ein Kind geboren wird. Es wurden viele Verwandte, die schon viele Jahre in Deutschland wohnen, eingeladen, ebenso die Flüchtlinge vom Haus. Mit viel Liebe wurde gekocht und gebacken und alle Speisen malerisch angerichtet. Alle Gäste haben sich in Festtagsgewänder gekleidet, die teilweise selbst genäht waren. Es wurde froh gespeist, gelacht, getanzt und später auch aufgeräumt. Vorbildlich. Die vielen Kinder spielten im Freien und sorgten für ihre eigene Unterhaltung.
Ich stelle immer wieder fest, dass trotz dem Leid, das diese Menschen erlebt haben, sie doch mit Liebe an ihrer Heimat und an deren Kultur hängen. Wir Deutsche werden immer wieder neu beschenkt, wenn wir Flüchtlingen offen begegnen.
Dienen in allen Bereichen
Viele Flüchtlinge haben große gesundheitliche Probleme. So brauchen sie mich als Vermittler für einen Arzttermin. Zeitweise muss ich dann auch für ihre Rechte kämpfen. Das Warten auf die Anerkennung dauert oft sehr lange. Die Familien sind auf kleinen Räumen zusammengedrängt. Dies sorgt oft für eine psychische Zerreißprobe. In solchen Situationen kann ich mit Zuhören und vorsichtigem Raten und vor allem mit Beten ein wenig helfen. Ein Ehepaar bekam jetzt nach drei Jahren Wartezeit einen Abschiebebefehl. Alle anderen aus diesem Land erhielten schon vor einem Jahr ein Abschiebeverbot. Solche Abschiebebefehle zu verkraften ist hart.
Auch der Kampf mit dem Jobcenter oder mit dem Landratsamt kostet viel Kraft. Ohne meine Hilfe haben die Flüchtlinge meist keine Chance, ihre Rechte durchzusetzen. Ich freue mich, dass ich durch meine Arbeit bei den Flüchtlingen ein wenig zur Stärkung des Friedens in der unfriedlichen Welt beitragen kann.