18.05.2018

Maiblüten

Dr. Bernd Biberger

Mai 1918 – 2018

Der Maimonat ist seit vielen Jahrhunderten wegen seines Blütenreichtums in besonderer Weise der Gottesmutter gewidmet. Gerne verehren wir sie als Maienkönigin:

 „Maria Maienkönigin, dich will der Mai begrüßen.“

So singen wir gerne den ganzen Maimonat hindurch, in dem uns die Natur daran erinnert, dass die Gottesmutter eine besonders schöne Blüte im paradiesischen Schöpfungsgarten Gottes ist. In vielen Gegenden ist noch heute üblich, das Bild der Gottesmutter während des Maimonats besonders schön zu schmücken, und nicht wenige Gemeinden kommen wenigstens am Sonntag zu einer Maiandacht zusammen. Zudem lädt der Mai in besonderer Weise zu Wallfahrten zu Marienwallfahrtsorten ein.

Auch in der Schönstattbewegung war der Maimonat von Anfang an eine besondere Gelegenheit, die Beziehung zur Gottesmutter zu pflegen und zu vertiefen. Die ersten Sodalen, die in der Marianischen Kongregation aktiv waren, nützten den Mai als eine besondere Strebezeit, d.h. sie intensivierten ihre Selbsterziehung, durch die sie sich unter dem Schutz Mariens zu festen, freien priesterlichen Charakteren formen wollten, und brachten ihre Anstrengungen der Gottesmutter als Beiträge zum Gnadenkapital ins Heiligtum. Auf diese Weise wollten sie der Gottesmutter eine besondere Freude machen.

 „Musterschüler“ Pater Kentenichs: Josef Engling

Beispielhaft lässt sich dies am Leben Josef Englings, den man getrost als Musterschüler Pater Kentenichs bezeichnen könnte und dessen Todestag sich in diesem Jahr zum einhundertsten Mal jährt, ablesen. So schreibt er am Beginn des Maimonats 1916 in sein Tagebuch: „Mariae! In diesem Zeichen steht der ganze Monat, ja ich selbst in diesem Monat. Maienkönigin, meine Mutter, Dir übergebe ich mich in diesem Monat ganz und gar. Alles, was mir gehört soll Dein Eigentum sein. Ja ich selbst.“[1]

Und ein Jahr später notiert er: „Mai – Mariae. Mutter, der Mai muss einen Aufschwung in meinem Innenleben bringen. Gestern hielt ich kein PE [Partikularexamen] und gab mir nicht die geringste Mühe. Gewiss, es war mir nicht wohl, aber der Gedanke an Dich und den Mai musste mich diese Kleinigkeit überwinden lassen. Eben beginnt die Orgel in der Kirche zu spielen. Ich will hinüber zu Deinem Sohn gehen und dann das Werk meiner Selbstheiligung im Mai regeln.“[2] 

Den Garten des Herzens gestalten

Ganz bewusst gestaltet Josef Engling sein geistliches Streben als Gestaltung des Gartens seines Herzens, in der er sich bemüht, viele Blüten zu sammeln: die Maienblüten. Er schreibt: „Mutter, Dir sei mein Herzensgärtlein geweiht, für Dich will ich in ihm pflanzen und hegen.“[3] Dabei sammelt er nicht einfach gute Werke, sondern er unterscheidet zwischen

♥   der Rose der Liebe und der Hochachtung,
♥   dem Vergissmeinnicht der Treue im Dienst der Gottesmutter,
♥   dem Veilchen der Demut und Bescheidenheit,
♥   der Passionsblume des Kreuzes und der Opferliebe sowie
♥   der Lilie der Unschuld.

Konkret notiert er sich, worauf er achten will und ob und wie oft er sich daran gehalten hat. So nennt er als Ausdruck des Veilchens der Demut das geduldige Hinnehmen von Zurechtweisungen, das Verzeihen von Beleidigungen und den freudigen Gehorsam. Alle Ereignisse des Alltags bieten Josef Gelegenheit, sie bewusst mit der Gottesmutter in Verbindung zu bringen. Für Josef sind diese Maienblüten Ausdruck seiner Liebe zur Gottesmutter, der er besondere Freude machen möchte.

Maienblüten als Ausdruck der Liebe zur Gottesmutter

Am Sammeln der Maienblüten hält er nicht nur fest, als er im Studienheim in Schönstatt in die Schule geht, sondern auch in seinen Zeiten als Soldat an der Front. Bewusst bringt er am Ende des Maimonats die Maienblüten der Gottesmutter als Geschenk dar.

So schreibt er Ende Mai 1917: „Lieb Mütterlein, die Maiengabe ist diesmal zwar gering, aber sie kommt von Herzen, von einem guten Willen, der Dir gern Freude machen möchte, aber nichts Großes fertigbringt. Sei darum zufrieden mit den wenigen Opfern und meiner gänzlichen Hingabe an Dich. Nur Dir allein will ich gehören, will ganz Dein eigen sein, herzlichstes Mütterlein. Volo omnibus omnia fieri [ich will allen alles werden]!“[4] Pater Kentenich bittet er in einem Brief ein paar Tage später: „Schicke Euer Hochwürden gleichzeitig die Maienblüten und das Verzeichnis des PE. Bringen Euer Hochwürden beides dem lieben Mütterlein im Kapellchen dar. Ich vertraue fest auf ihren Schutz, selbst in geringfügigen Sachen. Sie hat stets geholfen.“[5]

Wie Josef Engling der Gottesmutter unsere Zuneigung zeigen

Das Beispiel Josef Englings regt auch uns an, den Maimonat als eine besondere Zeit zu nützen, um in der Selbsterziehung wieder ein Stück zu wachsen. Wir sind eingeladen, in einer ähnlichen Weise wie Josef Engling der Gottesmutter unsere Zuneigung zu zeigen und uns von ihr nach dem Bild ihres Sohnes erziehen zu lassen.

Durch das Sammeln der Maienblüten ist Josef Engling tiefer in das Liebesbündnis mit der Gottesmutter gewachsen. Diese tiefe Verbundenheit mit ihr gab ihm Sicherheit in den gefährlichsten Situationen. Im Mai 1918 schreibt er an Pater Kentenich: „Vor einigen Tagen, als die Granaten rechts und links neben mir einschlugen, betete ich wie gewöhnlich zum Mütterchen und versetzte mich in unsere Kapelle. Da fühlte ich mich meinem lieben Mütterchen so nahe wie noch nie in meinem Leben. Ihre Nähe kam mir so süß und lieblich vor; ich fühlte nicht mehr die geringste Angst vor den Granaten. Es war ein glücklicher Zustand, in dem ich immer hätte bleiben wollen. Wie schön und erhaben, wie lieblich und vertrauenerweckend ist doch unsere liebe Mater ter admirabilis. Eine große Sehnsucht nach ihrem Heiligtum, nach Ihnen und den lieben Mitstudenten überkommt mich öfter.“[6]

„Lass mich ein Opfer sein …“

Dieser ungezwungene und liebevolle Umgang mit der Gottesmutter ist für Josef Halt in allen Lebenslagen. Alles, was ihm an Schwerem und Unangenehmen in den alltäglichen Aufgaben begegnet, versteht er als Liebesdienst für die Gottesmutter. Auf diese Weise wird er nach und nach in die höchsten Formen des Liebesbündnisses hineingeführt. Er ist nicht mehr nur bereit, die alltäglichen Unannehmlichkeiten der Gottesmutter als Beiträge zum Gnadenkapital zu schenken, sondern er bietet ihr sogar sein Lebensopfer für Schönstatt an. Anfang Juni 1918, also kurz nach Beendigung des Maistrebens, betet er:

„Lieb Mütterlein, Mater ter admirabilis, Dir bringe ich mich aufs Neue als Opfer dar. Dir opfere ich auf alles, was ich bin und habe, meinen Leib und meine Seele mit allen ihren Fähigkeiten, all mein Hab und Gut, meine Freiheit, meinen Willen. Dir will ich ganz und gar gehören. Dein bin ich. Verfüge über mich und das Meinige, ganz wie es Dir gefällt. Wenn es sich jedoch mit Deinen Plänen vereinigen lässt, lass mich ein Opfer sein für die Aufgaben, die Du unserer Kongregation gestellt hast.“[7]

erzogen zu einem heiligmäßigen Menschen

So darf man das Lebensangebot Josef Englings als die höchste Frucht seines Maistrebens ansehen. Die Gottesmutter hat das Angebot vier Monate später, am 4. Oktober 1918 angenommen. So sind nicht nur die Maienblüten, die Josef Jahr für Jahr geschenkt hat, zusammen mit den anderen Beiträgen zum Gnadenkapital fruchtbar geworden, sondern in besonderer Weise auch sein Lebensangebot. Josef hatte sich ganz der Gottesmutter verschenkt. Sie durfte ganz über ihn verfügen. So hat sie ihn durch seinen Seelenführer Pater Kentenich erzogen und geformt zu einem heiligmäßigen Menschen. Sein Lebensbeispiel kann auch uns ermutigen, uns ganz der Gottesmutter zu verschenken, damit sie auch uns führt auf den Weg der Heiligkeit und zu neuen Menschen führt, die wie sie Christus zu den Menschen der heutigen Zeit tragen und die Liebe des himmlischen Vaters bezeugen.

[1] Zitiert nach: Paul M. Hannappel, in Weggemeinschaft mit Josef Engling, Bd.5, Marienliebe, Vallendar 1998, 12 (01.05.16).
[2] Ebd., 13 (01.05.17).
[3] Ebd., 25.
[4] Ebd., 29.
[5] Ebd., 30.
[6] Ebd., 58.
[7] Josef Engling, Briefe und Tagebuchnotizen, Teil III, zusammengestellt von Paul Hannappel, 227.